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2. Also, wo hat's denn "Klick" gemacht, Jungchen?
Also, dazu muss ich vorausschicken, dass ich auch nur mit Wasser koche. Ohne Sekundärliteratur läuft da gar nix. Ohne den Stapel an Büchern, die ich nach Verstehbarem durchforste, brauch' ich die "Ethik" gar nicht zur Hand zu nehmen. Da kann ich's gleich lassen. Mit der Sekundärliteratur baut man sich die Stufen, um zum Eingang des primären Textes zu gelangen. Mann kann's aber auch anders illustrieren. Sätze und Interpretationen aus der Sekundärliteratur sind wie ein kleines Arsenal an Spezialwerkzeugen, die ich mir als Forscher ins Labyrinth des Primärtextes mitnehme. Dabei weiß ich oft gar nicht ob's was nützt oder bloß Ballast ist.
Indiana Jones goes "Ethica".

Wie wär's mit einem Beispiel? - OK, liefere ich.

Da haben wir etwa den Lehrsatz 2 aus dem ersten Buch "De Deo" (notiere ich so E1P2):

"Zwei Substanzen, die verschiedene Attribute haben, haben nichts miteinander gemein."

Wenn man nicht viel über die "Ethik" weiß, (aber so ein paar allgemeine Orientierungen hat man ja bald, wenn man in so eine Einführung hineinschaut) da weiß man dann, dass Substanz ein grundlegender Begriff ist, der irgendwie synonym mit Gott ist. Wenn dem aber so ist, dann kann's in der monotheistischen Tradition ja nur eine Substanz geben. Und auf das will Spinoza ja auch hinaus: letztlich soll gezeigt werden, dass es nur eine Substanz gibt.
Dennoch ist man sehr überrascht, dass hier von zwei Substanzen die Rede ist. Sind wir noch immer bei Descartes dualistischer Zwei-Substanzen-Lehre (denkendes Ding - ausgedehntes Ding, Geist - Körper)?

Nun, man kann sich durch die Sekundärliteratur informieren lassen, dass die Beweisführung, die Spinoza hier unternimmt, so angelegt ist, dass sie die "Arbeitshypothese" (Pierre Macherey, Introduction I, 77) von den zwei Substanzen 'ad absurdum' führt. Daraus soll auf negative Weise das Resultat erarbeitet werden, dass die Substanz nur eine ist. Gut, soweit gibt's ja kein Problem.

Mein Problem war aber immer folgendes: Da ist ja auch von den Attributen die Rede. Wenn man nicht viel weiß, dann weiß man, bereits informiert durch die Sekundärliteratur, dass es bei Spinoza zwei Attribute gibt, die wir Menschen wahrnehmen, denken können: das ausgedehnte Sein (das Materielle) und das denkende Sein. Wobei die Wette ist, dass dies nicht wieder einen Dualismus (wie etwa bei Descartes) ergibt.
Mein Problem also war immer, dass ich bereits an dieser Stelle, statt dem Wort "Attribute" immer schon Denken/Ausdehnung eingesetzt hatte. Da aber Denken/Ausdehnung, wie ja wusste, unbedingt zur Substanz gehört, war ich irritiert, plötzlich mit zwei Substanzen konfrontiert zu werden und sie im Sinne Descartes aufzufassen. Ich las den Lehrsatz also so: "Denken und Ausdehnung, die verschieden sind durch Denken und Ausdehnung haben nichts miteinander gemein." Was natürlich keinen Sinn ergibt.

So war für mich unentscheidbar, ob die zwei Substanzen nun etwas miteinander gemein haben oder nicht, bzw. wann das der Fall sei. Die paradoxe Situation beim Lesen war für mich die: Lese ich einfach den Satz und messe ich den verwendeten Nomen darin keine bestimmte Bedeutung bei, kann ich ihn logisch zunächst verstehen. Versuche ich aber Bedeutung aus meinem sekundären Vorwissen hineinzulegen (Attribute = Ausdehnung und Denken), verstehe ich ihn nicht mehr. Kurz: Ohne Bedeutung verstehe ich ihn, mit Bedeutung verstehe ich ihn nicht. Das paralysiert, frustriert.

- Gut, und wann hat's dann "Klick" gemacht?

Also, das kam, als ich auf den guten Mann Namens Harry Austryn Wolfson und dessen Werk "The philosophy of Spinoza. Unfolding the latent process of his reasoning" gestoßen bin.

Wolfson erklärt detailliert, mit welchen (aus der Philosophiegeschichte tradierten) Problemen Spinoza umgeht.

Um E1P2 leichter verstehen zu können, versteifen wir uns mit Wolfson nicht auf die Attribute, die dort erwähnt sind. Vergessen wir sie mal. ("The term 'attributa' in this proposition should be taken simply in the sense of predicates ..." Wolfson, 87) Statt dessen klärt uns aber Wolfson auf, dass Spinoza in diesem Lehrsatz ansetzt, um den tradierten Dualismus von Materie und Form, bzw. Materie und Geist, von materiell und immateriell zu torpedieren. Wir sind also tatsächlich bei dem Dualismus (Körper/Denken), den auch Descartes weiterführt und der im mittelalterlichen Weltbild der von Gott (immateriell, geistig) und schnöder, materieller Welt ist. Was hier also diskutiert und ad absurdum geführt werden soll ist das scholastische Problem, wie der immateriell konzipierte Gott eine materielle (niedrige) Welt als Schöpfer hervorbringen kann - womöglich ohne sich durch diese Tat selbst zu erniedrigen und als mangelhaft zu erweisen.

Dies wäre also der kritisierte Inhalt von E1P2: Stellen wir uns Gott als rein und geistig vor und die Welt hingegen als materiell und niedrig, dann haben sie nichts miteinander gemein.

Du meinst, das ist gar nicht so schwer gewesen. Nun, ich fühl zum ersten Mal Boden unter den Füßen, wenn ich diesen Lehrsatz lese.
 

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