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1. Lese-Erfahrung
Diese Erfahrung ist doch immer wieder überwältigend. Wenn ich plötzlich was verstehe, wenn's "Klick" macht. Kennt ihr das?

Da lese ich jahrelang an einem Text, habe diese und jene Gedanken dazu, lese Sekundärliteratur, kenne die Wörter, die Problematik rundherum - und dennoch verstehe ich kein Wort. Ich kann's lesen und die Worte mit den Augen abtasten, teilweise den Argumentationen folgen. Aber das Gelesene, sammelt sich nicht, bildet keine Struktur im Kopf. Schon gar nicht verhilft es zu einem eigenständigen Weiterdenken. Letztlich bleibt das Verhältnis zum Text eines der Faszination, negativ. Der Lerneffekt besteht darin, bestimmte oberflächliche Urteile aufzugeben, allerdings noch ohne positive Ideen dazu zu haben. Lediglich die Information durch andere und Glaube und Hoffnung, dass da noch was Anderes, Wichtiges sein muss, lässt dich weiterlesen, fesselt dich im Bestreben, das "Rätsel" zu knacken.

Dabei ist diese Haltung, sich mit dem Rätsel zufriedenzugeben, bei Spinoza-Lesern oft anzutreffen. Das sind diejenigen, die Spinoza als ihren Heiligen ansehen und die "Ethik" als ihre Bibel. Jedes Verstehen ist für sie letztlich an die Wiederholung von Textpassagen geknüpft oder aber außersprachlich "intuitiv". Goethe hat sich in dieser Hinsicht hervorgetan, wenn ich richtig informiert bin. Ein Mensch, der sich von einem anderen faszinieren und inspirieren lässt und nicht genauer unterscheidet, was er ihm einerseits andichtet und was andererseits wirklich bei ihm zu finden ist, - das kann ich ja akzeptieren. Wenn sich aber zwei und mehrere Menschen in dieser Faszination finden, dann wird bald eine Sekte draus, mit den entsprechenden Gurus. Und auch sowas gibts unter Spinozisten. Schaut ins Internet, wenn ihr's nicht glaubt.

Aber weiter mit dem Lesen.
Z.B. die Sache mit "Gott" bei Spinoza. Das erste Buch der "Ethik" nennt sich ja "De Deo"/Von/über Gott. Was hab ich mit Gott aufm Hut? Seit der Hauptschule, wo ich für bessere Noten gebetet habe (mit mäßigem Erfolg), nicht mehr. Die Faszination ergibt sich aus dem Wissen, das ich der Sekundärliteratur entnehme, dass dieser "Gott" Spinozas etwas völlig Anderes ist, als man gemeinhin drunter versteht. Sogar einen Atheismus kann man hier unterstellen und noch einige andere -ismen. Und nun liest du und versuchst ständig, diese andere Bedeutung drunterzulegen, gleichzeitig aber dem Argumentationsgang zu folgen. Das Problem ist aber, dass sich dieses "schielende" Lesen bald vervielfältigt, da ständig andere Bezeichnungen auftreten, die auch irgendwie Synonyme für "Gott" sind: also so Dinge wie "Substanz", "Ursache seiner selbst", und anderes.
Aus dem leicht verzerrten Bild (Gott und "Gott"), das man noch im Hirn korrigieren kann, wird schnell ein unübersichtliches Kaleidoskop an Worten, Kategorien, Begriffen. Man lässt es dann sein ... wenn man's kann.

Und dann eben der Moment einer Erfahrung, wenn sich ein Verstehen vollzieht, eine Einsicht geradezu aufdrängt, unvermeidbar wird.

Wie ist es dazu gekommen? Lässt sich diese Erfahrung mit ihrer Geschichte festhalten? Versuch's doch.
 

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