Vielleicht muss man, bevor man das Problem der Einheit und Vielfalt der Substanz angeht, sich mit dem Problem der Vielheit des Textes der Ethik selbst auseinandersetzen?
Der gute Deleuze unterscheidet drei Ethiken. Erwähnen wir hier zunächst die beiden ersten: Die Ethik der "Bewegung des Begriffs" in den Definitionen, Propositionen, Demonstrationen, Korollarien. Und die Ethik der Scholien, die die Bewegung des Begriffs "mit allen Kräften des Affekts überholt." (Unterhandlungen, 238) [Übrigens ähnlich Wolfson mit seinen Unterscheidungen von explizitem/implizitem Autor, Benedictus/Baruch, geometrischer Methode/ rabbinischer, scholastischer Methode).
Der Text bildet keine Einheit. Schreiben und Lesen werden selbst problematisch und reflexiv.
Nach und nach komme ich dem kryptischen Diktum Althussers auf die Spur, wonach Spinoza der erste gewesen sei "dem Lesen und damit auch das Schreiben zum Problem wurden". Damit geht bei Spinoza die Entwicklung einer Philosophie der "Undurchsichtigkeit des Unmittelbaren einher. Das Lob wird schier grenzenlos wenn Althusser formuliert: "daß damit zum ersten mal in dieser Welt ein Mensch (...) das Wesen des Lesens (...) in einer Theorie der Differenz zwischen Einbildung [imagination] und Wahrheit zu lesen Verstand." (Das Kapital lesen I, 16)
Abgründig: "Das Wesen des Lesens ... lesen."
Tatsächlich kommt man bei der Ethik schnell an einen Punkt, wo man sich fragt, was "lesen" bedeutet. Gibt man sich mit generellen Auskünften zufrieden, so reicht es, Handbuchwissen beim Lesen abzuklappern:
"Alles was ist, ist in Gott; es gibt nur eine Substanz, nämlich Gott; es gibt unendlich viele Attribute dieser Substanz; zwei dieser Attribute sind uns zugänglich, Denken und Ausdehnung; Gott schafft unendlich viele Dinge, endliche Modi, unter diesen Attributen; Gott ist die immanente Ursache aller Dinge; Gott
ist die Ursache sowohl des Wesens wie der Existenz aller Dinge; die Dinge konnten von Gott nur in dieser Ordnung erschaffen werden, in der sie faktisch erschaffen wurden; es gibt keine Kontingenz in den Dingen usf." (Schnepf, Metaphysik im ersten Teil der Ethik Spinozas, 11)
Das bloße Paraphrasieren bestimmter Lehrsätze, ihre Zusammenfassung unter bestimmten Stichworten wie "Monismus", "Determinismus" etc., sagen entweder wenig oder nichts und lassen das meiste im unklaren. Wie Robert Schnepf an dieser Stelle sagt, wird oft beim zweiten Lesen "fast alles unklar" (ebd.).
Vor allem Leser mit analytisch-philosophischer Lesebrille haben ihre liebe Not mit Spinoza, da sich der "Beweisgang" der Ethik immer wieder als mangel- oder lückenhaft erweist, sodass zusätzliche und implizite Axiome und Lehrsätze angenommen werden müssen. Hat man ein Problem gelöst wirft sich ein anderes an anderer Stelle auf.
Joel I. Friedman etwa. Der Autor meint, dass De Deo gemäß den Standards mathematischer Logik formalisiert werden könne, vorausgesetzt, dass man einige "verdeckte Prämissen"nachliefere. Redlicherweise gesteht er aber, dass gerade diese Formalisierung keineswegs die Ambivalenzen des Textes ausräumt. Friedman bekommt zwei Versionen seiner Formalisierung, die er wie folgt beschreibt:
"One version is indeed deductivley valid, but then its premises are not logically necessary. The other version has logically necessary premises, but alas, it is invalid." (An Overview of Spinoza's Ethics, Synthese 37, 69)
Vor allem diese Zeilen erinnern mich stark an die Dilemmas, die der Literaturtheoretiker Paul deMan in seinen Allegories of Reading ausformuliert:
"Everthing written has to be read every reading is susceptible of logical verification, but the logic that establishes the need for verification is itself unverifiable and therefore unfounded in its claim to truth."
(Allegories, 202, siehe auch 270)
Womit sich ein unheimlicher Kurzschluss zu unserem oben angeführten Althusser-Zitat ergibt.
Was bedeutet dies nun für die geometrische Methode?
Muss man bei der "Ethik" eine Ethik des Lesens mitentwickeln?
Der gute Deleuze unterscheidet drei Ethiken. Erwähnen wir hier zunächst die beiden ersten: Die Ethik der "Bewegung des Begriffs" in den Definitionen, Propositionen, Demonstrationen, Korollarien. Und die Ethik der Scholien, die die Bewegung des Begriffs "mit allen Kräften des Affekts überholt." (Unterhandlungen, 238) [Übrigens ähnlich Wolfson mit seinen Unterscheidungen von explizitem/implizitem Autor, Benedictus/Baruch, geometrischer Methode/ rabbinischer, scholastischer Methode).
Der Text bildet keine Einheit. Schreiben und Lesen werden selbst problematisch und reflexiv.
Nach und nach komme ich dem kryptischen Diktum Althussers auf die Spur, wonach Spinoza der erste gewesen sei "dem Lesen und damit auch das Schreiben zum Problem wurden". Damit geht bei Spinoza die Entwicklung einer Philosophie der "Undurchsichtigkeit des Unmittelbaren einher. Das Lob wird schier grenzenlos wenn Althusser formuliert: "daß damit zum ersten mal in dieser Welt ein Mensch (...) das Wesen des Lesens (...) in einer Theorie der Differenz zwischen Einbildung [imagination] und Wahrheit zu lesen Verstand." (Das Kapital lesen I, 16)
Abgründig: "Das Wesen des Lesens ... lesen."
Tatsächlich kommt man bei der Ethik schnell an einen Punkt, wo man sich fragt, was "lesen" bedeutet. Gibt man sich mit generellen Auskünften zufrieden, so reicht es, Handbuchwissen beim Lesen abzuklappern:
"Alles was ist, ist in Gott; es gibt nur eine Substanz, nämlich Gott; es gibt unendlich viele Attribute dieser Substanz; zwei dieser Attribute sind uns zugänglich, Denken und Ausdehnung; Gott schafft unendlich viele Dinge, endliche Modi, unter diesen Attributen; Gott ist die immanente Ursache aller Dinge; Gott
ist die Ursache sowohl des Wesens wie der Existenz aller Dinge; die Dinge konnten von Gott nur in dieser Ordnung erschaffen werden, in der sie faktisch erschaffen wurden; es gibt keine Kontingenz in den Dingen usf." (Schnepf, Metaphysik im ersten Teil der Ethik Spinozas, 11)
Das bloße Paraphrasieren bestimmter Lehrsätze, ihre Zusammenfassung unter bestimmten Stichworten wie "Monismus", "Determinismus" etc., sagen entweder wenig oder nichts und lassen das meiste im unklaren. Wie Robert Schnepf an dieser Stelle sagt, wird oft beim zweiten Lesen "fast alles unklar" (ebd.).
Vor allem Leser mit analytisch-philosophischer Lesebrille haben ihre liebe Not mit Spinoza, da sich der "Beweisgang" der Ethik immer wieder als mangel- oder lückenhaft erweist, sodass zusätzliche und implizite Axiome und Lehrsätze angenommen werden müssen. Hat man ein Problem gelöst wirft sich ein anderes an anderer Stelle auf.
Joel I. Friedman etwa. Der Autor meint, dass De Deo gemäß den Standards mathematischer Logik formalisiert werden könne, vorausgesetzt, dass man einige "verdeckte Prämissen"nachliefere. Redlicherweise gesteht er aber, dass gerade diese Formalisierung keineswegs die Ambivalenzen des Textes ausräumt. Friedman bekommt zwei Versionen seiner Formalisierung, die er wie folgt beschreibt:
"One version is indeed deductivley valid, but then its premises are not logically necessary. The other version has logically necessary premises, but alas, it is invalid." (An Overview of Spinoza's Ethics, Synthese 37, 69)
Vor allem diese Zeilen erinnern mich stark an die Dilemmas, die der Literaturtheoretiker Paul deMan in seinen Allegories of Reading ausformuliert:
"Everthing written has to be read every reading is susceptible of logical verification, but the logic that establishes the need for verification is itself unverifiable and therefore unfounded in its claim to truth."
(Allegories, 202, siehe auch 270)
Womit sich ein unheimlicher Kurzschluss zu unserem oben angeführten Althusser-Zitat ergibt.
Was bedeutet dies nun für die geometrische Methode?
Muss man bei der "Ethik" eine Ethik des Lesens mitentwickeln?
hans68 - am Mittwoch, 7. Juli 2004, 18:57