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Motto: "Der Tod ist immer nahe. Doch es ist nicht wichtig, ob du ihn vermeiden kannst, sondern ob du dein Möglichstes getan hast, deine Ideen zu verwirklichen." (Frantz Fanon)

Zu den interessanten Leseübungen in der "Ethik" gehört, bereits im ersten Buch, wo eher die "Metaphysik"/"Ontologie" dargelegt wird, Anknüfpungsstellen für das ethische Programm im strikten Sinn aufzufinden.

E1P7
"Zur Natur der Substanz gehört das Existieren."
Die Substanz ist "Ursache ihrer selbst, d.h. ihr Wesen schließt notwendig die Existenz ein" (E1P7Dem).

Das ist nun gerade nicht der Fall bei den Menschen, die ja nicht Substanz sind, sondern "endliche Modi" zu deren Natur das Existieren gerade nicht gehört. Im Gegensatz zur Substanz ist den Menschen ihre Existenz problematisch. Oder wie es Spinoza ausdrückt: sie sind nicht die "adäquate Ursache" ihrer Existenz. Vielmehr kommt es ihnen als Aufgabe zu, sich diesen "adäquaten Ursachen" zu assimilieren.

Gehen wir sodann zu dem wunderschönen Lehrsatz E4P21 der zunächst wie ein ethischer Imperativ aussieht:

"Niemand kann begehren, glücklich zu sein, gut zu handeln und gut zu leben, ohne daß er zugleich begehrt, zu sein, zu handeln und zu leben, d.h. wirklich zu existieren [actu existere]."

Das glückliche und gute Leben, das gute Handeln lässt sich nicht in der Orientierung auf ein höchstes Gut festlegen. Es lässt sich nur in der Emphase "wirklich" formulieren. Diese Betonung ist aber abgründig. Begehren, "wirklich zu existieren", unterstellt, dass es offensichtlich nicht ausreicht "spontan" zu existieren, einfach auf der Welt zu sein. Es gibt hier anscheinend den Anspruch auf einen intensiven Sinn von Existenz, ohne den auch eine traditionelle und unproblematische Auffassung vom guten Leben nicht zu haben ist. Diese intensive Qualität muss realisiert werden, damit solche "Werte" wie "Glück" oder "das Gute" als Vorstellungen überhaupt erst entstehen können. Wenn diese Intensität aber logisch vorausgeht und erst "hinterher" bewusst erfahren werden kann, was glücklich und gut leben heißen kann, dann findet sie selbst aber jenseits von Gut und Böse statt. Reine Intensität, wie Deleuze in eine seiner Vorlesungen sie nennt. Abgründig ist diese Formulierung, weil wir kein Maß für diese Intensität besitzen. Wir erkennen sie erst, wenn wir sie erleben (der Doppelsinn von "realisieren", "aktualisieren", in actu).

Spontan existieren wir nicht wirklich, doch spontan begehren wir, wirklich zu existieren. Indem wir begehren gut und glücklich zu leben, mit all den Vorstellungen und Bildern und Utopien, die dazu gehören, ist immer schon ein Begehren wirksam, das jenseits dieser Vorstellungen, Bilder, Utopien liegt und das sich nicht in ihnen erschöpft. Umgekehrt bekommen diese durch dieses fundamentale, basale, grundlegende _und_ abgründige Begehren erst selbst Gewicht. Abgründig v.a. deshalb weil kein konkretes Glück, kein konkretes Gut an sich uns glücklich machen kann, gut für uns ist oder und uns gut sein lässt. Was nicht heißt, dass sich diese reine Intensität nicht gerade (vielleicht sogar nur) in singulären Momenten, in der Beziehung zu singulären Dingen verwirklicht.

Tatsächlich ist es nicht richtig hier von einem "Imperativ" zu sprechen, denn es gibt hier kein "Du sollst" und keinen anrufenden Aufruf. Diese rhetorische Figur der doppelten Verneinung, in die sich die Formulierung hüllt, führt uns vielmehr dazu, die Schlussfolgerung selbst zu ziehen und die Notwendigkeit in der Sache selbst zu begreifen:
"Wirklich zu existieren" ist kein Imperativ, sondern die Realisierung einer Notwendigkeit. Im denkenden Vollzug dieser Notwendigkeit lässt sich die Anforderung an uns begreifen: dem Leben Notwendigkeit zu verleihen. "Wirklich" zu existieren heißt dann, entlang von Notwendigkeiten zu existieren, die zu ergreifen , man sich ermächtigt.
 

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